„Ahh, you‘re a protestant!“
Naja. „So ähnlich“, murmel ich.
„That’s alright, don’t worry“
Ich soll mir keine Sorgen machen, sagt mein irischer Gesprächspartner. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nichtmal, dass Sorgen wegen meiner Konfession überhaupt eine Option sein könnten. Was das angeht, bin ich wohl ziemlich verwöhnt: Aufgewachsen in der johannischen Kirche und in einer Familie, in der andere Konfessionen und Religionen nicht als problematisch angesehen werden. Ich hatte bisher wenig Grund oder Anlass, mir darüber Gedanken (oder gar Sorgen) zu machen. Ob johannisch, evangelisch, katholisch - die Kirchen sahen für mich gleich aus, das Vaterunser war auch fast dasselbe. Klar, die Gottesdienste liefen ein bisschen anders ab, aber irgendwie glaubten ja trotzdem alle an denselben Gott. Die Konfessionen waren eher verschiedene Spielarten derselben Religion. Christ = Christ. Oder?
Nicht ganz. Auch wenn man es in und um Berlin nicht so sehr merkt, die Unterschiede zwischen den Konfessionen, besonders den beiden größten, sind durchaus auch in Deutschland spürbar. Dass es Tage wie den ökumenischen Kirchentag gibt, zeigt zwar den Wunsch nach Offenheit, gleichzeitig aber auch die nach wie vor bestehende Trennung zwischen den Konfessionen. Wäre das nicht so, bräuchte man einen solchen Tag wohl gar nicht.
Viel stärker aber als in Deutschland fällt mir die Trennung zwischen den Konfessionen in Irland auf, wo ich gerade die meiste Zeit lebe. Der kleine Felsbrocken im Atlantik ist bekannt für grüne Wiesen, Schafe, Regen - und leider auch für den immer wieder aufflammenden Konflikt zwischen dem Norden und dem Rest der Insel. Der Nordosten Irlands gehört zum Vereinigten Königreich und ist überwiegend, genau wie die Queen, protestantisch. Die Republik Irland hingegen ist erzkatholisch. Hier wohne ich.
Die tiefe Verwurzelung des Katholizismus in der Kultur und den Leben der Menschen hier ist nicht zu übersehen. Selbst in den entlegensten Orten findet sich mit größter Wahrscheinlichkeit irgendwo eine Marienstatue; in den Fenstern der Häuser steht oft ein Miniatur-Heiliger; selbst in den glaubensfernsten Haushalten hängt ein Jesus-Bild. Aber: Katholizismus ist mehr, als „nur“ Glaube oder Teil kultureller Tradition. Glaube ist hier immer auch politisch; Konfession ist gleichzeitig Abgrenzung von den Anderen. Die Anderen, das sind die Protestanten. Wenn mein Gesprächspartner mir also sagt, dass ihn mein (vermeintliches) Protestantisch-Sein nicht weiter stört, dann ist das ein Kompliment und keine unbedingt selbstverständliche Meinung.
Sicher, der Konflikt in Irland geht tiefer und lässt sich nicht auf Religion beschränken. Aber Religion ist ein wichtiger Zugehörigkeitsmarker. Zwar habe ich selbst nie offenen Streit zwischen Nordiren und Iren erlebt, ein unterschwelliges Misstrauen der anderen Seite gegenüber ist aber spürbar. Und das äußert sich eben oft, indem man entweder auf die „Protestanten“ oder aber auf die „Katholiken“ schimpft (je nachdem, auf welcher Seite des Felsbrockens man sich befindet).
Am stärksten ist mir der Bruch zwischen Katholiken und Protestanten in der Grenzstadt Derry aufgefallen. Derry war und ist seit den 60er Jahren immer wieder Schauplatz gewalttätiger Unruhen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. Erst Anfang dieses Jahres brannte es abermals in den Straßen der Stadt. Der Konflikt kommt nie recht zur Ruhe, schwelt vor sich hin. In Derry gibt es ein protestantisches und ein katholisches Viertel - getrennt durch eine sogenannte Friedensmauer. Wie absurd das klingt. Eine Mauer trennt Christen von Christen - um des Friedens willen. Natürlich lässt nicht nur die Religionsfrage die Menschen aneinandergeraten; es gibt noch viele andere Gründe. Das gespaltene Verhältnis zu England in den vergangenen Jahrhunderten trug (und trägt) maßgeblich zur schwierigen Situation bei. Dennoch: Beide Seiten berufen sich auch immer wieder auf Religion, sie ist ein wichtiges Identifikationsmerkmal. Und trotzdem (oder deshalb?) hat besonders Religion auch das Potenzial dazu, hier zu versöhnen. Wenn man es schaffen würde, die Religion zu entpolitisieren und sich konzentrieren könnte auf das, was dahinter steht, dann würde die Menschen vermutlich mehr verbinden als trennen. Christen könnten einander als Christen erkennen. Echter, offener und liebevoller Dialog zwischen den Konfessionen könnte womöglich helfen, auch in anderen Bereichen zu vermitteln. Und vielleicht dazu beitragen, dass Mauern durch Brücken ersetzt werden. Im sprichwörtlichen Sinne Joseph Weißenbergs. Und das hoffentlich nicht nur in Derry.