Einsamkeit

Gemeindebrief
von Norbert Teschke
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Endlich Ruhe, endlich ein Ende der Mühen, endlich allein!

Jeder von uns wird irgendwann an einen Punkt gekommen sein, an dem man einen dieser Ausrufe gedacht hat. Sie drücken aus, dass wir uns über einen wohl verdienten Punkt des Ausruhens freuen und diesen genießen wollen. Was war vorher geschehen? - Wir hatten lange Zeit in einer anstrengenden Arbeitssitzung verbracht oder wir befanden uns in einer großen Gruppe von Menschen. Es war laut und schwierig, sich auf einen einzelnen zu konzentrieren. Die Eindrücke von vielen Ideen schienen uns zu erdrücken. Auf dem Weg nach Hause war es ruhiger geworden, doch erst als sich die Wohnungstür hinter uns schloss, konnten wir zur Ruhe kommen, die Stille genießen und uns „fallen“ lassen. Endlich allein – ein schöner Moment im Leben.

Anders ist das Gefühl der Einsamkeit. Es ist bedrückend für unsere Seele, und nicht einmal das Herausgehen, der Trubel des Alltags oder eine große Anzahl anderer Menschen vermag diese negative Stimmung zu vertreiben. Sorgen, materielle Nöte, der ungewisse Ausgang einer Krankheit, Enttäuschungen und … – es gibt vielerlei Gründe, sich Gedanken zu machen um das weitere Leben, und man fühlt sich einsam und gefangen in einer vermeintlich trüben Zukunft.

In den letzten Wochen hörten wir in den Nachrichten, dass es in vielen Staaten der Welt von den Regierungen beauftragte Sachverständige gibt, die sich des Phänomens „Einsamkeit“ annehmen, Ursachen und krankmachende Wirkungen erforschen und diese als ernst zu nehmende Probleme für die einzelnen Menschen und die gesamte Gesellschaft sehen. Es sind oft ältere Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr am alltäglichen Leben teilnehmen und deshalb mehrere Tage lang manchmal kein Wort gesprochen haben. Aus Scheu, jemanden zu stören, trauen sie sich oftmals nicht einmal, Bekannte oder Familienangehörige anzurufen. Ihre lieb gewordenen Freunde sind bereits heimgegangen, und es entsteht eine Leere - zuerst im Umfeld und dann in den Herzen dieser Senioren, es entsteht das Gefühl der Einsamkeit.

Erschreckend für mich ist, dass es zunehmend auch mehr junge Menschen gibt, die sich nach den Umfrageergebnissen einsam fühlen. Junge Menschen haben in ihren Entwicklungsjahren unter den Einschränkungen der Corona-Krankheit nur wenig soziale Kontakte entwickeln, weniger wirkliche Freundschaften suchen und finden und Erfahrungen mit anderen Menschen machen können. Sie konnten sich auf das Gefühl der Einsamkeit innerhalb einer offenen Gesellschaft nur selten vorbereiten und sind nun besonders betroffen, mit diesem umzugehen.

Nun bin ich kein Wissenschaftler, eben nur einer, der im Leben mit vielen Menschen beruflich und kirchlich zu tun hatte. Aus diesen Erfahrungen kann ich einige Beispiele berichten: Kinder in der Schule spielen miteinander oder stehen allein neben anderen. Es dauert jedoch nicht lange, bis sie versuchen, sich einer Gruppe anzuschließen. Sie werden aktiv, um dem Allein-Sein zu entgehen. Erwachsene genießen es, allein zu sein, sind aber auch bereit, auf andere zuzugehen, heute zum Teil mit dem Handy, früher mit dem Bus oder dem Auto. In einigen Gruppen – die älteren von uns kennen sie noch – gab es regelmäßige Tagungen der Männer, der Frauen und der Jugend. Man traf sich einmal im Monat in der Kirche und beredete gewiss nicht nur kirchliche Angelegenheiten. Gemeinsamkeit entstand und der Einsamkeit konnte vorgebeugt werden, weil man sich im Notfall bestimmt einem langjährigen Bekannten anvertrauen konnte. Diese Bekanntschaften überdauerten die Jahre, bis sie sich im Seniorenalter auf Gespräche am Telefon oder im SMH auf der Bank vor der Kirchentür beschränken mussten. Durch die eigene Aktivität wurde auf diese Art und Weise der Einsamkeit entgegen gewirkt, in vielen Fällen bis zum Heimgang.

Aber wie können wir in unsrem Leben und Alltag der Einsamkeit entgegen treten? Sicherlich durch das selbst aktive Zugehen auf unseren Nächsten. Auf diese Weise helfen wir dem Mitmenschen und uns selbst, nicht einsam zu sein oder werden zu können. Den ersten Schritt in die Richtung des Kennenlernens hat unsere Kirche im SMH wieder getan, als beschlossen wurde, Andachten zusammen mit den Kindern anzubieten. Auf diese Weise wurde ermöglicht, dass Kinder, ihre Eltern und die Senioren gemeinsame Stunden erleben und Kontakte der Generationen untereinander entstehen können. Beim diesjährigen Abendmahl hatte ich die Freude, neben einer Schwester mit ihren beiden Kindern zu sitzen. Ein erster Schritt, Gemeinsamkeit gegen Einsamkeit zu setzen ist getan, und ich freue mich jetzt schon auf weitere Kontakte mit kleinen Kindern und ihren Eltern im kirchlichen Leben.

Als johannischer Christ glaube ich, besser gesagt vertraue ich darauf, dass ich nie völlig allein sein kann. Liebevolle geistige Helfer begleiten mich, auch wenn ich sie nicht sehe. Es gab in meinem Leben oft Situationen, in denen ich mich sehr einsam gefühlt habe, Situationen im Beruf, in der Familie, aber auch im kirchlichen Miteinander. Auf wundersame Weise wurden mir gerade dann Gedanken geschickt, die mich getröstet haben, Menschen in mein Leben gesandt, die mir Helfer und Freund geworden sind, Auswege aufgezeigt, die aus dem Gefühl der Einsamkeit heraus führten.

Vielleicht sind diese „Geschenke“ ganz einfach und nicht besonders. Aber selbst in den ärgsten Lebenskrisen gelang es mir durch sie zu glauben, dass ich nie tiefer als in Gottes Hände fallen werde. Dieser Glaube gab mir sehr viel Kraft und ich danke Gott von Herzen dafür. Joseph Weißenberg hat diese Erkenntnis mit nur wenigen Worten so erklärt: „Glaube verloren, alles verloren!“ Deshalb, liebe Geschwister, lasst uns versuchen, dem Nächsten ein Nächster zu sein, von der uns geschenkten Liebe großzügig auszuteilen und glaubensvoll in eine gemeinsame Zukunft zu sehen und zu gehen und auf diese Weise unseren Glauben zu leben! Es mag das Problem „Einsamkeit“ in unserem Leben, im Leben anderer Menschen und in unserer Gesellschaft geben, aber wir können mit Glauben und Zuversicht und unserer Nächstenliebe etwas dagegen tun – mit Gott!