Unser Charles Williams ist heimgegangen, nachdem er uns allen so viel Freude mit seinem Gesang geschenkt hat. Nicht nur in Berlin beim Musical HAIR, wo ich ihn zum ersten Mal getroffen habe und im Johannischen Chor in Grunewald, sondern auch in München und sogar am Broadway war er. Jeder, der ihn traf, war begeistert von seiner ausgebildeten Stimme und seiner quirligen Natur. 1969 spielten wir beide im Theater am Lehniner Platz beim Musical „Hair“ und mochten uns auf Anhieb und blieben Freunde. Später traf ich ihn in München beim Musical “GODSPELL”.
Charly wuchs als “Son of a Baptist Man” auf und blieb seinem Glauben treu - und dem St.-Michaels-Heim ebenfalls, wohin er mich in den 70er Jahren mitnahm. Er stellte mich dem Chorleiter Siegfried Lehmann vor und führte mich begeistert durch das Haus und über das Grundstück, wo er sich zuhause fühlte. Wir traten in die Kirche mit dem modernen Altar ein, bewunderten die großen Fenster, durch die man in die Bäume des Parks blicken konnte. Wir nahmen nebeneinander Platz und meditierten. Das war ein inspirierender Anblick für mich, denn so eine wunderschöne Gebetsstätte kannte ich bis dahin nicht. Damals waren wir Kinder -wie Max und Moritz- bereit, zu umarmen, was in unsere Richtung kam. Im “Frommen Löffel” tranken wir unseren Kaffee.
Dann nahm das Leben seinen Lauf: Charles zog sich mit “Ruthie” seiner Frau zur Ostküste der USA zurück und ich sehnte mich nach der Sonne in Kalifornien nach den unterkühlten Jahren in Nordeuropa. Ruth widmete sich dem Schreiben und aus ihrem Buch las er bei seinen Auftritten vor. Nach vielen Jahren, als wir uns in der Kirche im St.-Michaels-Heim wieder- trafen, zeigte er mir stolz einige Fotos vom Broadway, wo er aufgetreten war, und wir strahlten uns gegenseitig an - wie in alten Zeiten!
Charlie, klein von Wuchs, aber mit einem begnadeten Stimmorgan, gab alles, wenn er auf der Bühne sang “he emptied the tank” sagen wir drüben - er leerte seinen Tank bis zum letzten Tropfen und ich und wir alle waren die dankbaren Empfänger seiner Kunst und seiner Persönlichkeit. Wir schwitzten unsere Seele aus und wussten um unsere Begabung, aber wir sprachen nie darüber. Alles gehörte zum Leben, alles war selbstverständlich. Damals gehörten wir, Donna Summer, Jürgen Markus, Charlie und ich, zu einer Truppe, in der wir abends auf der Bühne unser Bestes gaben und dem Applaus des Publikums entgegenfieberten. Finanziell reichte es geradeso, aber die Freude, zwei Stunden durch Musik und Choreografie mit offenen Augen und Ohren von einer liebenden Welt zu träumen, gegen den Vietnamkrieg zu protestieren und das mit Charlie an unserer Seite war einfach ein großartiges Erlebnis.
Umso trauriger war dann der Abschied von dieser “Familie”, zu der wir zusammengewachsen waren, aber die Erinnerung an diese gemeinsamen Stunden kann uns keiner nehmen. Jedes Mal, wenn wir uns wieder begegneten, fühlte es sich wie gestern an, auch wenn Jahre vergangen waren. Ich erinnere mich noch an die Williams-Familie in der Seesener Straße. Da gab es Lynn, die kleine Tochter, zart wie ein Schmetterling, die krausen Haare mit roten Bändchen zusammengebunden und Scottie, gerade erst geboren. Wir erfreuten uns an seinen ersten Schritten und liebten es, mit ihm zu schmusen. Während wir Singles nach der Vorstellung in einer Pizzeria feierten, ging Charlie direkt nach Hause zu seiner Familie.
Einmal erzählte ich ihm, dass ich ein paar schöne Blumen vom Olivaer Platz mitgenommen hatte. “Du klaust?”, fragte er erschrocken, aber ich sah das nicht so eng wie ein aufrechter Baptistensohn. Manchmal nahm er mich in seinem Käfer mit und wir sahen an einer Baustelle diese blauen Benzinlaternen hängen. Das gelbliche Licht gefiel mir, und ich erzählte Charlie, dass ich solch eine Hängelaterne schon einmal stibitzt hätte, aber der Benzingestank störte mich in meiner Wohnung. “Würdest du das noch einmal machen?”, fragte er mich und ich fragte zurück: ”Möchtest du so eine Laterne haben?” Er wagte nicht zu bejahen, aber ich holte ihm an der nächsten Baustelle so ein Licht und wir fuhren schnell weiter und lachten uns kaputt.
Eines Tages holte ich ihn morgens ab, aber bevor wir uns auf den Weg machen konnten, musste Charlie noch in den Keller und den riesengroßen Ofen füttern. Er schaufelte so viel Koks wie nötig hinein und amüsierte sich über mein Gesicht. Seine schwarze Haut glänzte rötlich, seine krausen Haare leuchteten wie Kupfer und seine weißen Zähne blitzten mich an. Zurückblickend kann ich nur sagen, dass wir wie zwei kleine Teufel unseren Spaß hatten und das Leben genossen.
Charlie war für mich ein “Ole Man River” ein Schatz. Wir bewegten uns wie zwei Kinder Gottes, behütet und dankbar, dass wir uns in diesem Leben getroffen haben. Donna, Jürgen und Charlie sind nun auf und davon - die Uhr steht nicht still - und wenn ich meinen Freund dort oben treffe - dann grüße ich ihn von euch.