Mendelssöhne und –töchter

Gemeindebrief
von Matthias Müller
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Wer das St.-Michaels-Heim durch das Hauptportal betritt und in der großen Halle den Blick schweifen lässt, wird an der linken Seite ein Portrait erblicken. Auf der kleinen Tafel am unteren Rand steht: „Moses Mendelssohn 1729 -1786“ und vielen Menschen ist die Bezeichnung „Palais Mendelssohn“ ein Begriff. Wer war dieser Moses, dessen Nachfahre, der Bankier Franz von Mendelssohn, sich dieses Landhaus am Herthasee errichten ließ? Machen wir uns also auf die Spurensuche. Und damit dies auch ergiebig ist, haben wir (eine kleine Gruppe interessierter Menschen) uns einer größeren Stadtführung angeschlossen, deren Titel diesem kleinen Bericht den Namen gab. Angereichert mit Informationen aus dem weltweiten Netz und aus dem Buch „Herr Moses in Berlin“ von Heinz Knobloch ein kleiner Bericht:

Moses Mendelssohn, in Dessau geboren, war schon als Kind sehr wissbegierig, lernte mehrere Sprachen und soll schon als Zehnjähriger hervorragende Kenntnisse des Talmud, dieses bedeutenden Schriftwerks des Judentums gehabt haben. In dieser Zeit wechselte er in die Klasse des Oberrabbiners David Fränkel, dem er 1742 an die neu gegründete Talmudschule in Berlin folgte. Berichten zufolge soll der junge Moses den Weg von Dessau nach Berlin in 5 Tagesmärschen absolviert haben und er kam dann am Rosenthaler Tor an, dem einzigen für Juden zugelassenen Zugang zur Stadt. Somit musste er – von Süden kommend – um die (damals noch nicht ganz so große) Stadt herumgehen, bis er Zutritt erlangte. Deshalb begann unser Stadtspaziergang ganz in der Nähe, am Rosenthaler Platz, und führte uns vorbei an verschiedenen Wohn- und Arbeitsstätten von Herrn Moses.

Als mittelloser Jude war er auf die Unterstützung von Gönnern angewiesen, die ihm Schlafmöglichkeiten (so in einer Dachkammer in der Probstgasse) und Nahrung verschafften, durch den Brauch der Gratismahlzeiten oder durch Vergabe kleiner Arbeiten. Zu Zeiten des Großen Kurfürsten Friedrich II. herrschte Offenheit gegenüber Einwanderern und religiösen Minderheiten. „Jeder soll nach seiner Facon selig werden“ brachte Friedrich diese schon einige Zeit geübte Toleranz in eine griffige Formel. Juden jedoch waren nicht nur zu dieser Zeit ausdrücklich nicht in diese Freizügigkeit aufgenommen. Nur die Wohlhabendsten hatten das Recht, sich in der Stadt niederzulassen, andere mussten sich dieses Recht entweder erkaufen, oder sie waren Ärzte, Anwälte oder Künstler. Auch einige Handwerker genossen dieses Privileg. Wiederum andere waren nur geduldet …

Auf Grund seiner umfassenden Bildung, seiner Sprachkenntnisse und seines Interesses für Philosophie gewann Mendelssohn viele Freunde, so u.a. Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Nicolai. 1750 wurde er zuerst Hauslehrer und dann Buchhalter bei einem Seidenhändler; das war ein großer Fortschritt für seine wirtschaftliche Situation.

1762 heiratete Mendelssohn Fromet Guggenheim, die damals in Altona lebte. Viele Liebesbriefe von Mendelssohn sind erhalten; hier zeigt sich der große Philosoph in einer wunderbaren, zu Herzen gehenden Sprache, die für uns sicherlich altmodisch klingt, aber heute noch die große Liebe der beiden widerspiegelt … Beide hatten zehn Kinder; u.a. die Schriftstellerin Dorothea Friederike (genannt Brendel) Veit, Joseph Mendelssohn, den Gründer des Bankhauses, und Abraham Mendelssohn Batrholdy, den Vetter der Komponistin Fanny Hensel und des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Vier der Kinder starben früh. Einige Häuser, in denen die Mendelssohns wohnten, konnten wir auf unserem Spaziergang besichtigen. Unser Weg führte uns über den Koppenplatz, benannt nach dem Stadthauptmann Christian Koppe. Rund um diesen Platz siedelten hier jüdische Mitbürger und es entstanden ein Begräbnisplatz (der später auch für Mittellose und Selbstmörder genutzt wurde, die ja nicht auf einem christlichen Friedhof bestattet werden durften) und in der Nähe eine Synagoge und Sozialeinrichtungen. In der NS-Zeit wurden sie als Sammellager für die Deportationen missbraucht. Unter dem Platz entstand ein Bunker; heute erinnert das Denkmal „Der verlassene Raum“, bestehend aus einer begehbaren Bronzeplatte mit einem Tisch und zwei Stühlen an die Gewalt, die den Jüdinnen und Juden angetan wurde. Ein Gedicht der Literaturnobelpreisträgerin und Überlebenden des Holocaust Nelly Sachs umrahmt die Skulptur:

“… O die Wohnungen des Todes, / Einladend hergerichtet / Für den Wirt des Hauses, der sonst Gast war – / O ihr Finger, / Die Eingangsschwelle legend / Wie ein Messer zwischen Leben und Tod – // O ihr Schornsteine, / O ihr Finger, / Und Israels Leib im Rauch durch die Luft! Nelly Sachs (10.12.1891 Berlin – 12.05.1970 Stockholm)”.

Weiter ging es zu einem unspektakulären, ruhigen, mit alten Bäumen bestandenen Ort: dem Jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße. An diesem Ort steht der restaurierte Grabstein von Moses Mendelssohn, der auf seinen beiden Seiten in hebräischer und deutscher Schrift die Lebensdaten trägt. Der Friedhof wurde 1943 von der Gestapo zerstört, 1948 wieder der jüdischen Gemeinde übergeben und später zu einem öffentlichen Park umgestaltet. 15 der ältesten Grabsteine sind heute in eine Umfassungsmauer eingelassen. An der Außenmauer ist die Skulptur „Jüdische Opfer des Faschismus“ von Willi Lammert aus dem Jahr 1957 zu sehen.

Vorbei an dem Jüdischen Gymnasium, das heute den Namen Moses Mendelssohns trägt, erreichten wir bald die Jägerstraße. Hier befand sich die Keimzelle des Berliner Bankenviertels, hier hatten die Mendelssohns auch großen gesellschaftlichen Einfluss. Auf Bildtafeln kann man hier – wie auch am jüdischen Friedhof detailliert Einblick in die Geschichte gewinnen. Nicht nur Mitglieder der Familie hatten hier literarische Salons, auch Rahel Varnhagen von Ense (1771 – 1839) wirkte hier, wie einer Tafel zu entnehmen ist: „(sie) versammelte als junge jüdische Frau an diesem Ort ab 1793 Menschen verschiedener Stände und Konfessionen in ihrem ersten literarischen Salon. Hier wurde mit Worten gefochten, Kritik mit Geist und Witz geübt, um Wahrheit gerungen …“

Es gäbe sicherlich noch viel zu berichten von diesen interessanten gut zwei Stunden Ausflug in die Geschichte; allen Interessierten kann ich empfehlen, solch ein oder ähnliches Angebot wahrzunehmen, z.B. über

Was bleibt an Gedanken?

Moses Mendelssohn hat neben seinem umfangreichen literarischen Werk, seinen Übersetzungen der Fünf Bücher Mose und der Psalmen und seinen Briefen die Verständigung zwischen den drei monotheistischen Weltreligionen als Herzensanliegen gefördert. Gotthold Ephraim Lessing setzt ihm in „Nathan der Weise“ und der darin enthaltenen Ringparabel ein Denkmal. Er plädierte als Vorreiter der Haskala, der „jüdischen Aufklärung“ für Toleranz; zeigte dabei große Weite gegenüber anderen Religionen: „Wir glauben zwar, unsere Religion sei die beste, weil wir sie für göttlich halten, aber daraus folgt nicht, dass sie schlechterdings die Beste sei. Sie ist die Beste für uns und unsere Nachkommen, die Beste für gewisse Zeiten und Umstände, und unter gewissen Bedingungen.“ Manche seiner Aussagen lesen sich heute sehr aktuell: „Wir träumten von nicht als Aufklärung, und glaubten durch das Licht der Vernunft die Gegend so aufgehellt zu haben, daß die Schwärmerey sich gewiß nicht mehr zeigen werde. Allein wie wir sehen, steiget schon, von der anderen Seite des Horizonts, die Nacht mit allen ihren Gespenstern wieder empor. Das Fürchterlichste dabey ist, daß das Uebel so thätig, so wirksam ist. Die Schwärmerey thut, und die Vernunft begnügt sich zu sprechen.“

Seine Maxime: nach Wahrheit forschen, Schönheit lieben, Gutes wollen, das Beste tun“ hat ihn als Menschenfreund begleitet und geleitet. Wir können von ihm lernen.

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