Im Gemeindebrief Nr. 53 hat Prediger Rainer Gerhardt mit seinem Vortrag „Das Jahr der Deutschen“, als ein besonderes Jahr für Kirche, Volk und Land gewürdigt. In diesem Vortrag ist der Blick auf das Große um uns herum gerichtet gewesen. Es wird von den großen weltbewegenden Ereignissen nach der Wende berichtet, die die ganze Weltordnung anders gestalteten und die Europa neu gliederte. Vor allem aber unser aller Gebete nach Einheit erhört wurden.
Mein Blick heute zurück auf die Wendezeit soll einmal in unseren kleinen Kreis der Gemeindearbeit bzw. noch kleinteiliger in die Steglitzer Gemeinde führen. Ich darf deshalb an die Besonderheit von Steglitz erinnern, da der Stadt-Bezirk im Süden Berlins an die Umlandgemeinden Kleinmachnow und Teltow angrenzte, zu denen Steglitz auch vor dem Mauerbau enge wirtschaftliche und verkehrstechnische Anbindungen unterhielt. So gehörten die Kirchenmitglieder der Johannischen Kirche in der Nachkriegszeit aus den Kreisen Teltow, Kleinmachnow, Stahnsdorf und Großbeeren zu Berlin-Steglitz. Sie reisten mit der S-Bahn zu den Andachten, die meistens in Schulaulen stattfanden, um an den wöchentlichen Gottesdiensten dort teilzunehmen.
Wie bekannt, wurden zum Mauerbau um Berlin am 13. August 1961 alle Verkehrswege, Straßen sowie Öffentliche Verkehrsmittel, in das Umland getrennt. Am 22. Dezember 1962 wurde die Johannische-Gemeinde Teltow mit den anschließenden Kreisen gegründet. Ein großes Gartengrundstück, das dreigeteilt von den Mitgliedern bewirtschaftet wurde und sich nur teilweise in deren Besitz befand. Seitdem fand in der Gemeinde Teltow ein reges, eigenes Gemeindeleben statt. Die vorhandene Bebauung wurde so umgestaltet, dass ein Andachtsraum mit Nebenräumen für die Gemeindearbeit zur Verfügung stand. Gottesdienste und Gemeindearbeit fanden auf diesem großen Gartengrundstück nun regelmäßig statt. Soweit es möglich war und die politischen Verhältnisse es zuließen, kam es zu Besuchen der Steglitzer Geschwister nach Teltow, um u.a. auch Materialien für den Gemeinde-Hausbau zu liefern. Gelegentliche Arbeitseinsätze fanden auch statt. Der dortige Gemeindeleiter Wolfgang Herfurth war der sprichwörtliche Gemeindevater.
Als sich die Wendezeit 1989 ankündigte und die Besuchsmodalitäten sich liberaler gestalteten, wurden erste Gemeindetage und sog. „kleine Männertage“ auf dem Grundstück abgehalten. Gemeinsames Grillen, Wandern und eine Besichtigung der Teltowkanal-Schleuse Kleinmachnow waren für viele West-Berliner eine Reise in eine andere Welt, die vorher so nah und doch unerreichbar war. Den Bildern sieht man eine urgemütliche Stimmung an, zumal uns Westberlinern dieses Kleinstadt-Flair gänzlich unbekannt war. Beide Gemeindeleiter Wolfgang Herfurth für Teltow und Rolf Schäfer für Berlin-Steglitz hielten die Bande zwischen den beiden Gemeinden im johannischen Verständnis zusammen.
Und dann kam der sensationelle 9. November 1989: Die Mauer fiel, alle mussten sich neu sortieren, Jubel, ganze Biografien änderten sich, Angst und Freude lösten sich ab. Die Geschichte wurde neu geschrieben…
In WEG UND ZIEL schreibt Ewald Müller, langjähriger Lebensgefährte von Frieda Müller, am 10. Januar 1990 unter dem Titel „Der Jubel ist verklungen“ unter anderem: „Neue Aufgaben, Probleme und Schwierigkeiten werden zu bewältigen sein. Die drohenden Wolken dürfen wir nicht übersehen, sie heißen: Hass, Neid, Unzufriedenheit und Rache. Versuchen wir, jeder an seinem Platz, das Unsere zu tun, mit der Kraft des Gebetes dem Bösen Liebe entgegenzusetzen. Auf das Gute im Menschen kommt es an, nicht darauf, welches Gesangbuch oder Parteibuch er hat“
Wie ging es nun mit der Gemeinde Teltow weiter? Viele Geschwister orientierten sich Richtung Friedensstadt, siedelten nach Blankensee oder zum Lindenhof um. So auch Wolfgang Herfurth.
Der Steglitzer Gemeindeleiter Rolf Schäfer erklärte sich nach einem Gespräch mit dem Oberhaupt bereit, kommissarisch die Gottesdienste der Gemeinde Teltow vierzehntägig fortzuführen. Bis 1993 fanden Zusammenkünfte wechselseitig in Teltow oder im SMH statt.
Die einsetzenden Rückübertragungen von Grundstücken ehemaliger DDR-Grundbesitzern, schaffte in dieser Zeit in Deutschland viel Unzufriedenheit, Hass und Neid. So auch um das Teltower Grundstück, das zu einem Drittel einem westdeutschen Bürger gehörte, der seine Anrechte nun anmeldete. Es konnte nur durch einen Verkauf bzw. Rückgabe der Liegenschaft Unzufriedenheit auf allen Seiten vermieden werden. Damit ist eine Gemeinde Teltow dann auch Geschichte geworden. Heute stehen schmucke Einfamilienhäuser auf diesem Grundstück, das viele Geschwister mit ihren Gebeten begleiteten und über Jahrzehnte gepflegt haben und mir sehr schöne Erinnerungen an diese Zeit bleiben.
Vergessen wir nicht welche segensreichen Umstände wir nach dem Fall der Mauer in unserer johannischen Gemeinschaft erleben durften:
Ein erster gemeinsamer Kirchentag (s.u.) in Ost und West und eine gesegnete Kirchentagswoche 1990. Ein Passionsspiel, deren Mitwirkende aus Ost und West kamen, dessen Vorbereitungen schon im Herbst 1989 begannen und schon zu Ostern 1990 im Waldfrieden aufgeführt wurde. Durch die Gründung eines gesamtdeutschen Johannischen Sozialwerkes konnten ab 1990 Bauprojekte in vielen Gemeinden ohne staatliche Restriktionen, allen voran in Kaulsdorf, begonnen werden. Ein erstes, gemeinsames Erntedankfest auf Gut Schönhof, wird vielen Geschwistern unvergesslich bleiben.