Wir sind miteinander verbunden

Gemeindebrief
von Konstanze P./ Bild Birgit Gudjonsdottir/​Passionsspiele Oberammergau 2022
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Wir sind viele. Wir sind Individuen. Liebe und Verrat, Gut und Böse, wir alle sind fähig zu beidem. Wir sind miteinander verbunden. Schriftzug im Museum von Oberammergau über einem geschnitzten Bild vom Abendmahl

Das sind die Worte, die mir immer wieder begegnet sind auf meiner Reise nach Oberammergau. Nach einem ausführlichen Zeitungsbericht und einer Reportage im 3Sat über die Passionsfestspiele dort hat mich im Sommer das Gefühl gepackt: da will ich hin! Und es ließ sich die richtige Mitfahrerin finden, Karten und Quartier organisieren und dann saßen wir Ende September mit knapp 5000 Besuchern im Passionstheater, das in seiner Bauart von 1898 mit seiner Bogenkonstruktion an die Gottesdiensthalle in Glau erinnert. Noch immer sehr bewegt und beeindruckt, weiß ich nicht so recht, wo beginnen und deshalb erstmal ein bisschen Geschichte und Zahlen.

1633 im 30jährigen Krieg wurde das Dorf von der Pest heimgesucht und in ihrer Not legten die Oberammergauer ein Gelübde ab, dass sie, wenn die Pest sie verschont, alle 10 Jahre eine Passion über das Leben und Leiden Christi aufführen werden. Von diesem Tag an ist niemand mehr an der Pest gestorben und seit fast 400 Jahren wird dieses Gelübde alle zehn Jahre erneuert und ein ganzes Dorf wirkt mit über 2000 Spielern, Musikern, Sängern, Technikern und Organisatoren dabei mit. Es ist in dieser ganzen Zeit nur zweimal wegen Krieg ausgefallen und zweimal verschoben worden, zuletzt wegen der Pandemie von 2020 auf 2022. Mitspielen darf nur, wer in Oberammergau geboren ist oder seit mindestens 20 Jahren dort wohnt, gespielt wird von Mai bis Oktober ca. 100mal, es dauert gut 5 Stunden und es kommen Gäste aus aller Welt. Die Vorarbeiten beginnen 2-3 Jahre vorher, die Inszenierung und Besetzung wird jedes Mal neu erarbeitet und aktualisiert. Jeder möchte mitmachen, oft kehren junge Leute zur Passion vom Studium oder anderem zurück, weil man schon als Kind mitspielen darf und in das Spiel hinein gewachsen ist. Es gibt einen Haar- und Barterlass und die Mitwirkenden lassen sich ab Aschermittwoch des Vorjahres die Haare wachsen und dürfen erst wieder am Ende der Passionszeit zum Friseur gehen. Christian Stückl, der mit 25 Jahren mit knapper Mehrheit zum Spielleiter gewählt wurde, leitet und prägt seit 1990 das Spiel. Viele Neuerungen setzte er nach lebhaften Diskussionen im Dorf durch.

Es dürfen jetzt Frauen jeden Alters (früher nur Unverheiratete unter 35) und alle Konfessionen mitspielen, in diesem Jahr zum ersten Mal auch ein junger Moslem. In Zusammenarbeit mit dem Musiker Markus Zwink, dem Bühnenbildner Stefan Hageneier und den Mitwirkenden wird immer wieder um eine zeitgemäße Passion und eine ausdrucksstarke und professionelle Umsetzung gerungen. Sie entfernten die antisemitischen Anklänge, die in der Nazizeit betont worden sind. Durch Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen und einer Reise mit allen Sprecherrollen nach Israel wurde eine authentische Verbindung mit Ort und Zeit von Jesu Leben geschaffen.

Die Christusfigur ist eine sozialere geworden und er wird als ein gläubiger Jude dargestellt, der seinen Glauben befreien und wiederbeleben wollte. Er singt zum Beispiel sehr berührend das Schma Jisrael, das wichtigste Glaubensbekenntnis im Judentum. Heutige Erfahrungen mit Flucht, Randgruppen der Gesellschaft und der Diskrepanz von Lehre und Handeln fließen ungesagt in die Interpretation mit ein. Vor der ersten Aufführung findet ein ökumenischer Gottesdienst mit einem Gebet und Segen für alle statt.

Christian Stückl sagt sinngemäß in einem Interview: „Die Passion ist ein soziales Event, das Jung und Alt über alle Schichten hinweg verbindet. Jeder bringt sich ein, mit dem was er kann. Jeder will einfach.“ Im Rahmenprogramm im ganzen Ort arbeiten evangelische und katholische Kirche zusammen und es gibt überall Anregungen, einen Ort der Stille und auch im Museum ergänzende Infos und Momente zum Nachspüren und Vertiefen der Eindrücke. Gerne wären wir länger geblieben, um alles wahrzunehmen.

Aber unabhängig von all diesen Tatsachen erlebt man in 5 Stunden intensiv mit, wie sich der Kampf um die Wahrheit zuspitzt, man ist von der Einheit von Musik, Bildern und dem überzeugendem Spiel der Darsteller in den Bann gezogen und geht mit zum Kreuz. Man hört Jesu Worte, man hört auch die Hammerschläge und sieht, wie das Kreuz aufgerichtet wird. Bis hin zur Nachricht der Frauen: Er ist auferstanden!

Trotz der vielen Menschen im ganzen Dorf spürten wir die Verbundenheit mit dem Spiel, ob in der Unterkunft, beim Essen oder im sehr lohnenswerten Museum. Es gab kleine nette Begegnungen und Gespräche am Rande mit wildfremden Menschen und so fuhren wir erfüllt und dankbar nach Hause mit dem Gefühl:

Wir sind verbunden!