Hand auf´s Herz enn wir als Besucher das Grundstück des St.-Michaels-Heimes betreten, laufen wir meist achtlos an einem Kleinod handwer licher Schmiedekunst vorbei.
Über einem Steinsockel erhebt sich ein Eisenzaun mit einer beachtlichen der Zaun auf einer Länge von ca. 250 Metern und ist nur mit einigen w nigen grundstücksseitigen Abstützungen versehen. Das lässt auf eine sehr hohe statische Qualität und Verwindungsfreiheit schließen.
Der Hersteller dieses Zauns war eine bekannte Kunstschmiede aus Berlin-Tegel, Schulz & Holdefleiss, die Anfang des 20. Jahrhunderts Weltruf erlangte. Der Kunstschmied Ottomar Holdefleiss (1855-1912) errang 1896 die Goldmedaille auf der Berliner Gewerbeaus- stellung und repräsentierte Deutschland mit seinen Arbeiten auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900. Aus seiner Werkstatt stammen u.a. die großen Beleuchtungsmasten sowie Türen für das Kriegerdenkmal in India- napolis und das Portal der Eingangstore des Friedenspalastes in Den Haag. Im Stadtmuseum Berlin existiert eine lebensgroße Brunnenfigur eines Knienden in Rüstung mit den Gesichtszügen Bismarcks, der in der „Villa Holdefleiss“ auch als prominenter Gast weilte. Eine der letzten wohl noch erhaltenen Schmiedearbeiten ist der Zaun, der das St.-Michaels-Heim ein- fasst.
Schaut man genauer hin, sind die Materialstärken enorm dickwandig, die Ornamente sind feuergeschweißt. Das ist die älteste bekannte Schweißme- thode, die z.B. die Kreise aus einem flachen Eisenstück über Feuer unter Luftab- schluss mit Hammerschlä- gen schmiedet. Industriell vorgefertigte Bau- elemente gab es vor gut ei- nem Jahrhundert in dieser Ausführung wohl kaum. Die- se Handwerkskunst ist heute unbezahlbar. Würde man die- sen Zaun in seiner Höhe und Länge nach alter feuergeschweißter Tradition herstellen wollen, dann wür- den die Kosten dafür die des ehemaligen gesamten Kaufpreises vom Palais Mendelssohn mehrmals übersteigen.
Interessant ist, dass Bruder Benno Günther, langjähriges Mitglied im Män- nervorstand der Johannischen Kirche und Initiator vieler Männersportfeste, bei obiger Firma beschäftigt war, de Firmengründer diesen Zaunauftrag vom Hofbaurat Ernst Ihne empfing und wahrscheinlich zum Einzug Franz von Mendelssohns 1908 ausführte.
Zuerst wollen wir uns aber mit der jüngeren Geschichte des Zauns beschäftigen:
1957 kaufte die Johannische Kirche das Grundstück Bismarck- Ecke Her- thastraße in Berlin-Grunewald. 1958 kamen die ersten ehrenamtlichen Helfer der Kirche, die Grund und Boden von nun an pflegen und bewahren sollten. Vier Spandauer Brüder, die im Rentenalter bzw. arbeitslos waren, übernahmen eine scheinbare Lebensaufgabe.
Der marode, verrostete und beschädigte Zaun musste entrostet, geschweißt und befestigt werden. Die Brüder Horlitz, Priessmeier, Salzhof-Schmidt und mein Vater beschäftigten sich mit der Entrostung. Weder Sandstrahlge- räte noch Winkelschleifer oder elektrische Topfbürsten standen damals zur Verfügung. Jeder bekam eine Drahtbürste und es wurde der Gründlichkeit von Handwerkern überlassen, ihre lebenslange Erfahrung und handwerkli- chen Fähigkeiten einzubringen.
Je nach Verrottung des Zaunelements schaffte man ein bis zwei Streben am Tag. Wie mühselig diese Arbeit war, bekam ich einmal selbst zu spüren, als mir mein Vater testweise eine Drahtbürste zur Mitarbeit überreichte. Nach einer Stunde Arbeit ergriff mich Mutlosigkeit, dann ergriff mich Trostlosigkeit und ich ergriff die Flucht.
Nach kürzester Zeit waren die Borsten der Drahtbürste abgenutzt und zu kleinen Stoppeln verkümmert. Bruder Heinz Beese löste 1962 die betagten oben genannten Brüder ab und begann mit Elan und neuen Farbschutz-Materialien aber eben immer noch mit Drahtbürsten…
Bis zur Grundstücksübernahme gab es nur eine einzige Auffahrt, die über die Herthastraße führte. Wie der Zaun, ist auch dieses Tor ein kunstvolles Zeugnis schmiedeeiserner Arbeit, obwohl die Metallbauer, die Brüder Siegfried und Hänsel Müller, viel an diesem Tor ausbessern mussten, da es gravierenden Verfall zu beklagen gab. Der Überbau musste entfernt wer- den. Das obige Bild ist vermutlich aus dem Jahre 1920. Der heutige Zu- stand der Zaun- und Toranlage ist wieder dringend reparaturbedürftig! Eine neue, breitere Zufahrt wurde in der Bismarckallee geschaffen und neue seitliche Pfosten aufgemauert, die den Pfosten der Herthastraße ähnelten. Sieht man genau hin, entdeckt man vorgesehene Metall-Halte- rungen für ein Tor, das es nie gab und nie geben wird.
Nun gehen wir gemeinsam einmal von der Bismarckallee kommend, am Zaun entlang in die Herthastraße, am Tor vorbei, am Pförtnerhaus vorbei und weiter in Richtung Königsallee. Irritiert werden wir feststellen, dass das Ende des St.-Michaels-Heimes nicht das Ende der Zaunanlage ist, wie es normalerweise zu vermuten wäre.
Und an dieser Stelle begegnet uns nun die ältere Geschichte des Zauns: Als Kaiser Wilhelm I. und Bismarck die Villenkolonie planten, mussten polnische Leiharbeiter zuvor den Spandower Stadtforst in den Grenzen der künftigen Villenkolonie urbar machen, trocken legen, roden und eine künstliche Seenlandschaft daraus schaffen, so auch den Herthasee.
Der nachfolgende Kaiser Wilhelm II. befürwortete die großzügige Parzel- lierung um den Herthasee für seinen Privatbankier Franz von Mendelssohn und seinen Bruder Robert von Mendels- sohn, die beide ihre Grund- stücke nebeneinander um den See ab 1898 bebauten. Unser geschichtsträchtiger Zaun umschloss also beide Grundstücke, daher auch die identische Bauausführung der Zaunanlage. Die Zufahrt zum Grundstück des Robert von Mendelssohn, Herthastraße Ecke Königsallee, ist weitaus pompöser und mit mehr schmiedeeiserner Kunst versehen. Städtebauliche und his- torische Betrachtungen bilden noch heute häufig dieses Kunstwerk ab.
Ursprünglich spannte sich der Zaun weiter in die Königsallee hin- ein. Inzwischen ist nur noch der Mauersockel üb- rig, der bis an das Grundstück Kö- nigsallee 18 her- anreicht, um dann in einem recht- winkligen Schwenk zum See das ehemalige Robert von Mendelssohn Grundstück zu begrenzen. An dieser Stelle ist der Originalzaun wieder präsent.
Um die Weltgeschichte dieses Zauns noch authentischer zu machen, muss von einem staatsfeindlichen Akt im Jahre 1922 berichtet werden. Etwa einhundert Meter vom Ende des Zauns entfernt, in einer Kurve der Königsallee Ecke Erdener- und Wallotstraße, wurde der Außenminister der noch jungen deutschen Republik Walther Rathenau am 24. Juni 1922 in seinem fahrenden Auto Opfer eines politischen Mordes. Zur Erinnerung an Walther Rathenau steht an dieser Stelle ein Gedenkstein am Zaun, der an dieser Stelle zurückspringt.
Die Zaunanlage begrenzt das St.-Michaels-Heim zur Straße hin. Seeseitswird das Grundstück von einer hüfthohen Mauer aus Feldsteinen begrenzt. Nicht weit von der Bismarckallee entfernt, hinter dem Auch hier begegnet uns ein schmiedeeisernes Kunstwerk, das zusätzlich weitere Ornamente und Verzierungen aufnimmt, und die Kunst des Feuer- schweißens offenbart. Geht man an dieser Mauer weiter entlang, fällt uns hinter der jetzigen Ter- rassenhalle ein Mauerstummel auf, der zu einem ehemaligen Brückenkopf gehörte.
An dieser Stelle spannte sich einstmals bis zur Bombardierung des Palais eine kleine Brücke über den See, sodass sich beide Familien der Mendelssohns auf kürzestem Wege besuchen konnten.
1935 verstarb Franz von Mendelssohn, sein Haus wurde zwangsverkauft, sein Bruder Robert von Mendelssohn emigrierte in die USA, sein Während der Bombardierung Berlins im Zweiten Weltkrieg wurde die Vil- la Robert von Mendelssohns total zerbombt. Die Villa Franz von Mendels- sohns (das jetzige SMH) wurde, wie bekannt, zur Halbruine zerstört. Ein Zaun ist eine Form der Einfriedung. Möge das darin enthaltene Wort Frieden allen Besuchern begegnen, die im St.-Michaels-Heim verweilen und denen Frieden schenken, die weiterziehen.